Projekt

«Guide-mains» und «L'art du chant appliqué au piano» Untersuchungen zum Klavierunterricht als Grundlage für eine historisch informierte Interpretation (1805–1865)

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts, als das noch junge Fortepiano im europäischen Musikleben zum wichtigsten und beliebtesten Instrument aufsteigt und die ersten Konservatorien moderner Prägung gegründet werden, erfährt der Klavierunterricht verschiedene Neuerungen, welche bisher nur ungenügend erfasst worden sind.
Dieses Forschungsprojekt geht den Spuren jenes Wandels in historischen Dokumenten nach, um auf dieser Grundlage den damaligen Klavierunterricht praktisch nachzuvollziehen und die daraus resultierenden Erkenntnisse für die heutige historisch informierte Aufführungspraxis fruchtbar zu machen.
So begann sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die curricular organisierte Ausbildung der Berufsmusiker (die immer mehr nur noch als virtuose Interpreten verstanden wurden) an den Konservatorien gegenüber dem traditionellen privaten Unterricht durchzusetzen, der eine umfassendere musikalische Ausbildung im Blick gehabt hatte.
Auf der Grundlage von Dokumenten aus den Archiven des Conservatoire Royal de Bruxelles und anderer vergleichbarer Einrichtungen werden die gespielten Repertoires, ihr Gewicht in der Ausbildung sowie die Verwendung der Klaviermethoden und ihrer Übungen und Beispiele untersucht.
In diese Untersuchungen fügt sich auch eine Analyse der Vortragsanleitungen in den verschiedenen Editionen von Beethovens Klaviersonaten ein, die sein Schüler Ignaz Moscheles veröffentlicht hat. Diese spiegeln den «öffentlichen» Wandel der Beethovenschen Interpretation im Kontext der erwähnten Entwicklungen.
Die historische Unterrichtssituation kann letztlich auch anhand einer Analyse der Struktur und der Sprache aus dem Blickwinkel der modernen Arbeits-/Handlungsanalyse der wichtigsten Klaviermethoden jener Zeit nachvollzogen werden.

Forschungsplakat

E. Torbianelli spielt Klaviermusik um 1800

Im Sommer 1803 erhält Ludwig van Beethoven aus Paris einen Flügel von Sébastien Erard als Geschenk, der gegenüber den zu dieser Zeit in Wien gebräuchlichen Instrumenten neben einer ungewohnten Mechanik einen nach oben erweiterten Tonumfang bietet. Das erste Werk, das er für dieses Instrument schreibt, ist die Klaviersonate C-Dur op. 53 («Waldstein») – sie weist gegenüber ihren Vorgängerwerken neben der Erweiterung des Tonumfanges auch eine grössere Anlage der formalen Struktur und einen freieren Umgang mit den von der Grundtonart aus anmodulierten Nebentonarten auf.

In einem Recital im Rahmen des Abschluss-Symposiums dieses Projekts kombinierte Edoardo Torbianelli auf einer Kopie von Beethovens Flügel (André Moysan, 2003) die «Waldstein»-Sonate mit Werken von Komponisten aus dem Umfeld des 1795 gegründeten Pariser Conservatoire, die im Hinblick auf ähnliche Instrumente geschrieben wurden. Auszüge aus diesem Programm mit Werken von Beethoven, Louis Adam, Alexandre-Pierre-François Boëly und Hyacinthe Jadin sind via Soundcloud kostenfrei zugänglich.