Massenmedium TV und STV: eine Hassliebe

Von den 1970er- bis in die 90er-Jahre erlebte zeitgenössische Musik am Leitmedium Fernsehen aufgrund nationaler kulturpolitischer Vorgaben in vielen europäischen Ländern wie auch in der Schweiz eine Blüte. Schweizer Musikschaffen kam aber kaum vor: Seitens STV hielten sich Skepsis und Interesse die Waage. Bebilderungen galten als Konkurrenz zur Musik und die Präsentation im Massenmedium Fernsehen als den Werken nicht angemessen, wenn auch der hohe Verbreitungsgrad attraktiv schien. Auch seitens der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft SRG gab es Vorbehalte, zum Beispiel im Hinblick auf Einschaltquoten. Institutionelle Zwänge und gegenseitige Skepsis standen sich im Wege. Die vier Regionalsender kämpften unter Quotendruck mit beschränkten Mitteln und Sendeplätzen für ihre Musikproduktionen und zeigten mehr internationales Musikschaffen.
Mitte der siebziger Jahre produzierten der STV und die SRG unter der Redaktionsleitung von Leo Nadelmann (Amtszeit 1965–1978) beim Deutschschweizer Regionalsender SF DRS gemeinsam eine national ausgestrahlte Porträtserie zu 15 Schweizer Komponisten.

1981 fand – mitten in einer medienpolitischen Debatte zum finanziellen Abbau bei Kulturprogrammen am Radio – eine vom STV und der SRG gemeinsam veranstaltete Tagung am Tonkünstlerfest in Lugano statt, wo sich Leitende und Regisseure der Regionalsender zum Thema «musica e televisione» mit dem STV austauschten (vgl. Artikel von Gabrielle Weber)

Eine Annäherung von STV und SRG resultierte daraus zunächst nicht. Zeitgenössisches Schweizer Musikschaffen kam unter dem TV-Musik-Redaktionsleiter Armin Brunner (Amtszeit 1978–1998) bei SF DRS kaum vor. Bei SF DRS gab es Vorbehalte: «der Tonkünstlerverein, die sind abgehoben, haben mit unserem Medium nichts zu schaffen, sind verkopft». Zudem konstatierte man beim STV «eine sehr grosse Diskrepanz von dem Wunsch, im Fernsehen aufzutreten […] und den realen Bedingungen, das möglich zu machen», wie Thomas Beck (2000–2009 Redaktionsleiter bei SF DRS) berichtet (vgl. O-Ton Thomas Beck 1).

Erst 2001 kam eine weitere Koproduktion zustande. Unter Federführung von Thomas Beck und STV-Präsident Roman Brotbeck produzierten die beiden Institutionen eine weitere gemeinsame Porträtserie zum Schweizer Musikschaffen. Sie wurde von den vier Regionalsendern der deutschen, italienischen, französischen und rätoromanischen Schweiz ausgestrahlt und als DVD herausgegeben. Anhand zehn exemplarisch ausgewählter Komponist:innen und deren konkreter Werke sollte die Vielfalt des Schweizer Musikschaffens abgebildet werden. Vertreten waren alle Sprachregionen, stilistisch Gegensätzliches, Frauen wie Männer, von Bettina Skrzypczak über Sylvie Courvoisier bis zu Klaus Huber und Mario Pagliarani:
«Die Schweiz ist ein Land der kulturellen Vielfalt: Dies gilt auch für die Bandbreite innerhalb der zeitgenössischen Musikszene zwischen Genf und Zürich, Chur und Lugano. Die Reihe ‹Schweizer Komponisten› stellt unterschiedlichste Persönlichkeiten aus der helvetischen Musikszene vor. Viertelstündige Porträts von exemplarisch ausgewählten Schweizer Komponistinnen und Komponisten geben Einblicke in Musikformen unterschiedlichster Couleur: von der spontanen Improvisatorin über den elektronisch komponierenden Freak bis hin zum Tonsetzer von Orchestermusik klassischer Tradition.» (DVD-Inlay)

Bettina Skrzypczak, deren Porträt als Pilot produziert wurde, stellte fest: «Dann gab es die Rückmeldungen […]. Sie kamen nicht nur aus dem Bekanntenkreis, sondern auch von mir unbekannten Menschen. Sie kommentierten die Sendung und teilten mir ihre Gedanken über die neue Musik ganz allgemein mit. Das war für mich eine grosse Überraschung. […] Es gibt ein Publikum dafür.» (O-Ton Bettina Skrzypczak)

Seitens der SRG wurde von geplanten Folgestaffeln abgesehen, obwohl für Thomas Beck (vgl. O-Ton Thomas Beck 2) die Porträtserie «ein sehr schönes Beispiel» dafür ist, «wie man überhaupt Musik angemessen vermitteln kann», und obwohl auch der STV «die Reihe sehr gut gemacht» fand: «Das war für mich so quasi der ideale Tonkünstlerverein, was wir da mit Thomas Beck […] ausgeknobelt haben. Das war wahrscheinlich die erfolgreichste Intervention.» (Roman Brotbeck im Gespräch mit Thomas Gartmann, Zürich 1.7.2022)