Projekt

«Das Schloss Dürande» von Othmar Schoeck Szenarien zu einer interpretierenden Restaurierung

1943 fand in Berlin die Uraufführung von Othmar Schoecks Oper «Das Schloss Dürande» statt. Hermann Göring kritisierte sie als «Bockmist» und setzte sie nach vier Aufführungen ab. Mit «Bockmist» meinte er in erster Linie die literarische Qualität von Hermann Burtes (1879–1960) stark nationalsozialistisch geprägtem Libretto, womöglich aber auch den in eine Katastrophe mündenden Schluss der Oper.
Das Projekt klärt Strategien, Verfahren und Modelle von politischen und literarischen Umdichtungen von Opern- und Oratorien-Libretti mit Fokus auf Hermann Burte: Es geht um eine Aufarbeitung der ideologischen Einschreibungen in den Text seines «Schloss Dürande» und um die Untersuchung seiner ‹Arisierung› eines Händel-Librettos (Judas Maccabaeus).

In einem Prozess aus Analyse, Aufarbeitung des Kontextes und Rekonstruktion einer ursprünglichen Werkidee und ihrer Neugestaltung versuchen wir, dieses Schlüsselwerk der Schweizer Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts aus seinem spezifischen historisch-politischen und soziokulturellen Kontext herauszuschälen und es als Kulturgut wieder zugänglich zu machen. Die zentrale Frage lautet deshalb: Ist es möglich, ein durch Text und Kontext nationalsozialistisch mitgeprägtes Werk so weit zu ‹dekontaminieren›, dass es wieder einer Diskussion und dem Repertoire zugeführt werden kann?

Burtes Libretto zu «Das Schloss Dürande» wird ästhetisch und ideologiekritisch im Kontext der nazistischen Eichendorff- und Romantikrezeption analysiert; berücksichtigt werden dabei insbesondere die während des Entstehungsprozesses vorge­nommenen Textänderungen sowie die zeitgenössische Rezeption.
Eine zweite Fallstudie widmet sich Burtes Bearbeitung von Händels Oratorium «Judas Maccabaeus» in «Held und Friedenbringer oder Führer, Friedenbringer / Die Worte verdeutscht und vergegenwärtigt von Hermann Burte / Im Auftrag der N.-S.-Kulturgemeinde Amtsleitung, Berlin, im Juni 1936 geschrieben».
Ziel ist es, in beiden Libretti ideologisch besetzte Muster, ‹Werte›, Phrasen und Vokabeln freizulegen. Es soll dabei die Frage geklärt werden, wie stark das Libretto zu «Das Schloss Dürande» nationalsozialistischer Ideologie verhaftet, wie weit es bloss Ausdruck einer konservativen deutschnationalen Weltsicht ist und inwieweit es sogar in seiner übertriebenen Anbiederung an das Regime wieder schon fast als konspirativ-antifaschistisch gedeutet werden könnte. Untersucht wird zum zweiten der künstlerische Prozess bei der Umwandlung von einer epischen (teils auch lyrischen) Erzählweise in dramatisch-szenische Vergegenwärtigung und dann in deren musikalisierte Form in der Oper.

Das Projekt mündet in eine Dissertation zur Librettistik und weiteren musikhistorisch-musiktheaterwissenschaftlichen Studien zur Aufarbeitung von Entstehungs-, Aufführungs- und Rezeptionsgeschichte und der damaligen Situation an der Staatsoper Berlin wie auch am Stadttheater Zürich, wo das Werk nachgespielt wurde.
Eine künstlerische Perspektive untersucht das Werk dazu mit explorativ-künstlerischen Mitteln und erprobt, wie weit das Werk neu geschaffen werden kann und muss. Sie umfasst die teilweise Neutextierung des Librettos durch Francesco Micieli, in stärkerer Anlehnung an die Vorlage Eichendorffs und unter grösstmöglicher Beibehaltung der von Schoeck mitgeprägten dramaturgischen Struktur, sowie eine musikalische Neufassung von Teilen des Werkes mit Anpassungen an den neuen Text durch Mario Venzago.

Forschungsplakat

Bild: Telegramm Görings an Generalintendant Tietjen, das zur Absetzung der Oper führte (Programmheft Staatsoper Berlin 1993)

Zur Neufassung von «Schloss Dürande»

«Wenn aber diesen äußerlichen, von Burte verschuldeten Schönheitsfehlern abgeholfen wäre, so hätten wir gewiss eine der prachtvollsten Opern der neueren Musik.» Schoecks letzte Oper Das Schloss Dürande erschien schon seinen Zeitgenossen, hier zum Beispiel dem Germanisten Emil Staiger, als verhindertes Meisterwerk. Der Stoff mit Liebesdrama, Verfolgungswahn und politischer Agitation, den Schoeck der gleichnamigen Novelle seines geliebten Joseph von Eichendorff entliehen hatte, wurde in der Adaption des deutschen Dichters Hermann Burte förmlich entstellt: Aus flüssiger, atmosphärischer Sprache wurden hölzerne Reime, aus einer Mediation über die Zeitenwende der Französischen Revolution wurde ein polemischer Angriff auf die Aufklärung. Die Belastung erscheint gleich doppelt, erlebte die Oper doch 1943 eine hochgradig repräsentative Uraufführung in der Hauptstadt des «Dritten Reichs» – dass nach dem Krieg weitere Aufführungen ausblieben, erstaunt vor diesem Hintergrund nicht weiter.

In einem an der Hochschule der Künste Bern angesiedelten Nationalfondsprojekt, «Das Schloss Dürande von Othmar Schoeck – Szenarien zu einer interpretierenden Restaurierung», erprobte nun der Berner Dichter Francesco Micieli eine Wiederannäherung an die Novellenvorlage unter freier Verwendung von Texten Eichendorffs. Dies erlaubte es, zu einer neuen Sprache zu finden, die sich durch die Feinarbeit von Mario Venzago organisch mit der Musik verbinden liess.

Die Neufassung nimmt dabei Anstösse von Schoeck und seinem Umkreis auf, ohne einer eigentlichen Intention nachspüren zu wollen. Vielmehr wurde versucht, das im Werk liegende Potential einzulösen. Das Resultat knüpft die ungewohnt opernhafte Handlung von Eichendorffs Novelle, in der Weltgeschichte und Liebesgeschichte zusammenprallen, wieder mit der romantischen Gefühls- und Stimmungswelt, die das ursprüngliche Libretto vermissen lässt. Schoecks Musik, «nicht nur seine umfangreichste, sondern auch seine geistig umfassendste Konzeption» (Willi Schuh), nimmt somit neue Gestalt an, indem sie zu ihrem Ursprung zurückfindet.

Der zu rund 60% neu geschaffene Text bricht die klappernden Reime auf, ersetzt Gespreiztes durch natürliche Wendungen, eliminiert Reizwörter, nimmt den romantischen Ton des Dichters und seine Traumwelten wieder auf, zeichnet teils neue Charaktere. Dadurch veränderten sich Haltung, Dramaturgie, Aussage. Die Sprache fliesst nun ungehindert, die Musik blüht auf. Es entsteht ein neues Werk mit der Losung «Zurück zu Eichendorff». Spannend ist es nun, zu beobachten, was passiert, wenn aus dichterischer Prosa und Lyrik plötzlich Dramatik wird. Der neue Text ist aus einer historischen Distanz entstanden, der die Perspektive von heute aus erkennen lässt. Teils machte er auch Konsequenzen bei der Führung der Gesangsstimmen nötig. In diese Arbeit stürzte sich mit Begeisterung Mario Venzago, der auch bei der textlichen Neufassung mitwirkte; aus teils eindimensionalen Theaterfiguren entwickeln sich nun psychologisch interessante Menschen und Text und Musik atmen in den gleichen weit ausgreifenden Melodie- und Spannungsbögen: ein spätromantischer Stil, der den «lyrischen» Schoeck der Lieder mit dem «dramatischen» Schoeck der Penthesilea vereint. Sein geheimes und verkanntes Hauptwerk wird nun zur schönsten Eichendorff-Oper.